Es war wenige Tage vor dem Lockdown am 23. März 2020, es war in diesem schönen Frühjahr des Jahres 2020, in dem die Sonne eisig schien. Es war Corona. In Bergamo krochen wie verstummt wirkende Militärlasterkolonnen mit Särgen beladen aus der Stadt. Was würde passieren? Bei uns, in Berlin? Würden wir, wie die Chinesen, in unseren Häusern eingesperrt werden, für endlose Wochen?
Die Menschen kauften XXL-Packungen Toilettenpapier, als könnten die wie Sandsäcke die Fluten des Übels abwehren. Ich hatte kleine Lager von Tomatenkonserven angelegt, dazu hübsche Pasta-Modelle, Muscheln und Zwirbel und Kreisel, und, wie die New York Times empfahl, mein Lieblingsbrot in Vierteln eingefroren, dazu Himbeeren und Blaubeeren. Für den Trost zwischendurch war ein Stapel Schokoladen versteckt worden, als Alternative eine Flasche Gin mit einer interessanten orientalischen Geschmacksnote. Lockdown ahoi!
Und nun? Begann ich, den kleinen Hof hinter dem Haus zu bepflanzen.
Der kleine Hof war ein kleines Stück Elend, von dem meine Freunde bei Besuchen höflich sagten, daraus könne daraus bestimmt was machen.
Location: Berlin-Charlottenburg. Der Hof – 20 mal 10 Meter – ist durch eine Durchfahrt zugänglich, die in eine gepflasterte Autospur endet, die mittig einen nackten, schwarzen Geröllstreifen hat, der auf eine rissige Hauswand zuführt. Der Hof ist auf zwei Seiten von fünfstöckigen Gebäuden umgeben, im Süden steht eine unappetitlich braune Bretterwand und blockt die Sonne, ganz hinten ein Fahrradschuppen von ähnlich einprägsamer Farbe.
Rechts neben der Autospur liegt ein Schotterfeld, 2 mal 10 Meter, spärlich von Unkraut besiedelt, das in seiner ernsthaften Hässlichkeit deutlich macht: Wir warten hier auf tonnenschwere Feuerwehrlaster, die mit ihren meterbreiten Reifen ohne Probleme auffahren können, wenn es brennt.
Im Anschluss an die Fahrspur und das Not-Areal der Feuerwehr liegt ein Rechteck, 15 mal 10 Meter, ein von Staunässe geprägtes verfilztes und moosiges Rasenstück, in dem ein großer Sandkasten eingelassen ist, daneben ein rostiges Wackelpferd. Seit Jahren unbenutzt. Niemand hatte dort je ein Kind spielen gesehen. Warum auch, es gibt unmittelbar gegenüber einen riesigen Spielplatz, und um die Ecke noch zwei weitere. Die Hausverwaltung hatte nichtdestotrotz bei der letzten Versammlung der Hausbewohner vorgeschlagen, diesen Sandkasten und das Spielpferd zu erneuern, Kostenpunkt: ca. 8700 Euro.
Ich war aufgestanden und hatte gesagt, man könne für einen Bruchteil dieses Geldes vielleicht einen Gartenhof schaffen, einen grünen Mikrokosmos inmitten der Stadt.
Ich hatte für diesen Spielplatz-Punkt der Tagesordnung vorgesorgt, mit Filzer einen Plan gezeichnet, den ich jetzt hochhielt: Hier – vor die lange dunkelbrauen Bretterwand: weiße Rispenhortensien. Clematis! Am Fahrradschuppen: Kletterrosen. In den ehemaligen Sandkasten ein Staudenbeet!
Die Hausverwaltung war verärgert. Sie kannte diesen Plan, sie hatte schon zwei Mal, zwei Jahre lang, verhindert, dass dieser Punkt auf die Tagesordnung kam, sie befürchtete das Schlimmste, nämlich Unruhe, und hier stand ich nun, mit meiner Skizze, und jemand rief: Toll! Fangen Sie einfach an, Frau Mayer!
Der Hausverwalter lächelte klemmig. Ihm war die Beseitigung des modernden Sandkastens aufgetragen worden. Nach drei Monaten wurde eine eiserne Müll-Wanne auf dem Hof gezogen, sie sollte den Sand aufnehmen. Nach vielen Wochen wurde die Eisenwanne wieder abgezogen, unter Hinterlassung des größten Teils des Sandes sowie tiefer Schleifspuren im sogenannten Rasen, und noch immer war da der vermodernde Holzrahmen mit seinen hochstehenden rostigen Nägeln.
Jetzt Sie, Frau Mayer!
Okay! Ich würde mir ein Teilstück vornehmen, und nicht das leichteste, immerhin war Corona. Ich würde mir den schwarzen Schotter zwischen den Autospuren vorknöpfen. Aber zuerst in die Königliche Gartenakademie, was immer ein gutes Ziel ist, wenn die Nerven flattern.
Die Gärtner waren zugeneigt. Schotterbepflanzung? Nennen wir es lieber: den kleinen Steingarten! Ich kam nach Hause mit vielen kleinen Töpfchen. Zwei Mal Vinca, in Violett und weiß, winzige Nelken, fürs Frühjahr. Viola adorata „Königin Charlotte“, wir sind schließlich in Charlottenburg. Mini-Frauenmantel für den Sommer. Für die heißen kommenden Tage Thymian und für die ganz heißen kleine Fetthennen. Geldblättriges Waldsteinia. Da kniete ich also, und bohrte mit meinem doppelzackigen Unkrautlüfter am Schotter herum, hebelte Stein um Stein heraus, bis zur Sehnenscheidenempörung, wühlte mich so tief in diese Hässlichkeit, bis ein Handvoll Humus reinpasste plus ein Pflänzchen.
Gelegentlich schaute ich auf und sah dann meine liebste Mitbewohnerin, wie sie mit spöttisch verzerrten Lippen auf mich herabsah. Klar, was sie dachte. Offensichtlich eine Irre. Egal. Bisschen Oscorna drauf, hatte die Gärtnerin gesagt, als Anschub.
Zwei, drei Wochen später: blühte der Corona Streifen. Man betrat jetzt den Hof, und blickte über ein Band von Blumen – auf die hässliche Wand. Ich stellte einen Kübel davor, mit einer weißrandigen weißblühenden herrlichen Hortensie. Immer noch viel splissige Wand. Die Gartenakademie riet zu wildem Wein, und siehe da, kaum war er in der Erde, krochen die ersten Ranken nach oben, man konnte ihm förmlich zusehen, wie er abenteuerlustig emporkletterte, jeden Tag ein bisschen. Eine Ermutigung! Ich warf mich auf den Sandkasten.
Der Sandkasten enthält zwei Spaten tief Sand. Wie bepflanzt man Sand? Ein Sand, ohne einen Krümel Humus? A propos, Humus, das entpuppte sich als der Schwachpunkt dieses Hofs. Es gibt, zeigte sich, auf dem Hof so gut wie keine Erde. Der gesamte Boden besteht aus Schotter über einer Tiefgarage. Rosen am Fahrradschuppen? Konnte man vergessen. Die kahlen Hauswände waren auch nicht berankbar, weil gedämmt mit Styropor. Ein wenig Erde gab es nur an einem etwa 25 Zentimeter breiten Streifen entlang der Bretterwand, eigentlich eine Kuhle, entstanden wohl durch jahrelangen Einsatz des Laubpusters, aus den Resten erheben sich erstaunlich hohe Robinien, deren Kronen über dem Hof hübsche Arabesken schlagen.
Ich brach auf nach Ostberlin, zu den legendären Späthschen Baumschulen. Bei der Späthschen kann man sich Humus in große Plastiktüten abfüllen, 2,50 € der Beutel, mein kleines Auto fuhr, beladen mit fünfzehn, zwanzig Säcken gärendem Humus, auf weichen Knien zurück nach Charlottenburg. Zwei, drei, vier Mal. Ich hatte mir geschworen, ich würde mich von einem Sandbeet nicht unterkriegen lassen. Ich buddelte Löcher in den Sand wie zu meiner besten Buddelkistenzeit, also vor 60 Jahren, füllte die Löcher mit Humus und setzte: spanische Gänseblümchen, Lavendel, Iris. Einige Gräser, Salbei. Schafgarbe. Fürs unermüdliche Blühen natürlich Geranium Roxane, für die Höhe eine Verbena bonariensis. Mit einem Gruß an den geliebten Kniepsand auf Amrum: eine Sandrose! Ob das so gehen würde?
In diesem Moment des Zweifels traf eine Mail der Gartengesellschaft ein - Einladung zu einer kleinen persönlichen Beratung. Ich schickte subito einen Hilferuf, Frau Schabbel-Mader schickte Ermutigung zurück. Und einen genialen Vorschlag: statt von fehlender Erde zu reden, warum nicht von Substrat? Anreicherung des Sandkastens mit Katzenstreu und Humus, Abdecken mit Rindenmulch! Und dann würde es schon reichen für Kräuter, für Ysop und Bohnenkraut und Oreganum. Danke!
Vor dem Fahrradschuppen steht jetzt ein rotästiger Hartriegel, statt einer Rose rankt eine Actinidia kolomikta mit rosaroten Austrieben. Von links kommt eine weiße Wisteria. In einem großen Kübel müht sich ein Fächerahorn, den Blick von den Mülltonnen abzufangen. Entlang der Bretterwand wurden die schönsten Clematis eingepflanzt, sie wirken leider unschlüssig, ob es ihnen da gefällt. Zu trocken, in der Konkurrenz zu den Bäumen? Immerhin: die weißen Rispenhortensien zeigten helle Puschel in der Tönung „Limelight“. Der so genannte Rasen wurde, wohl zum ersten Mal in Jahren, gedüngt und war plötzlich grün und wuchs, jetzt suchte man nach einem Rasenmäher. Ach ja, und die Brachfläche für die Feuerwehr. Wurde mit schwarzem Schiefersplitt abgedeckt, aus diesem tiefen Grau erheben sie blaugraues Schwingelgras, paarig gesetzt, dazwischen, verstreut, einige eisgraue Artemisia.
Jemand schrie: Was, wenn die Feuerwehr kommt!! Ich sagte kein Problem, dann pflanzen wir acht Mal Blauschwingelgras nach, wenn der Brand gelöscht ist.
Ein Mitbewohner sagte: Wissen sie was? Dies hier macht mein Leben schöner! Ich spende jetzt mal das Geld für diese Pflanzen! Und ein paar Sitzmöbel.
Und so kam es, dass wir eines sonntags auf den schönen Sesseln mit Riesling anstießen. Ein Hausbewohner feierte im Hof seinen Geburtstag, mit seiner Familie, coronagerecht, schön auf Abstand. Einer hockt da oft und führt offensichtlich komplizierte Handygespräche. Mal liest jemand Zeitung. Freundinnen kommen und bekommen kleine Limonentartes. Aus dem Sandkastenbeet zwitschert es, was das Zeug hält, weil dort jetzt ein Vogelhaus steht, mit Körnern der Sorte „Menü de Luxe“.
Der Herbst ist gekommen, und der Laubpuster hat Hofverbot. Die Blätter wurden, wie der Grasschnitt, in die Senke geharkt, unter die Bäume, zum Kompostieren. Mal sehen, was weiter passiert. Im Kies nistet Federgras, dazu einige Stockrosen, wir hegen die Hoffnung, dass sie im kommenden Sommer hochschießen mögen vor den kahlen Hauswänden, und uns mit Blüten umgeben.