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Foto: Heike Bertram

Der Garten de l‘Aigle

Biographie

Die Haare brav gescheitelt, die beiden Zopfenden zu Schnecken über das Ohr gesteckt, das junge Mädchen sitzt im Kreise der Familie im GartenDie Haare brav gescheitelt, die beiden Zopfenden zu Schnecken über das Ohr gesteckt, das junge Mädchen sitzt im Kreise der Familie im Garten; eine elegante Dame mit Muff lehnt lässig an der Treppe; eine Lehrerin sitzt starr inmitten der Schar ihrer Schülerinnen: diese alten Fotos von Alma de l’Aigle (1889 - 1959) hängen in einem Schaukasten im Alma-de-l‘Aigle-Garten in Hamburg-Eppendorf. Wer war diese Frau, die auf den vergilbten Fotos so streng und verschlossen wirkt? Schaut man sich ihren Lebensweg etwas genauer an, so wird klar, dass er sich grundlegend von dem anderer junger Frauen ihrer Generation unterschied. Als geduldige Pädagogin, ambitionierte Schriftstellern, engagierte Sozialistin und leidenschaftliche Gärtnerin hat Alma de l’Aigle viele unterschiedliche Spuren hinterlassen.

Malerin wollte sie werden, ganz Augenmensch wie sie war. Doch das wollte ihr Vater nicht, eine solide pädagogische Ausbildung sollte sie machen. Ab 1909 durfte Alma de l’Aigle an mittleren und höheren Mädchenschulen unterrichten, doch sie entschied sich, an einer Hilfsschule für lernbehinderte Kinder zu arbeiten.

 

eine elegante Dame mit Muff lehnt lässig an der Treppe; eine Lehrerin sitzt. starr inmitten der Schar ihrer Schülerinnen

Die Pädagogin

alma de laigle 4Ungewöhnlich war ihr reformpädagogischer Ansatz: Kinder sollten sich frei entfalten können, Achtung vor jedem Lebewesen erlernen und Freude an der Natur haben. Deshalb fand ihr Unterricht häufig im Freien statt. Sie war eine Erzieherin mit Leib und Seele und wollte sich keiner starren Ordnung fügen, auch nicht der der Nationalsozialisten. Sie schrieb: "Die Kinder in ihrer Echtheit zu bewahren, das war mein stärkstes Anliegen“.

In Opposition zur „schwarzen Pädagogik“ und der Nazi-Ideologie begann die Pädagogin 1944 mit ihrem 500 Seiten dicken Werk „Die ewige Ordnung in der Erziehung. Gespräche mit Müttern" - kurz Elternfibel genannt (1948). Es ist ein Ratgeber, der die Mütter auffordert, ihren Kindern verständnis- und liebevoll zu begegnen. Mögen für uns zahlreiche Ratschläge aus der Elternfibel heute nur noch ein Spiegel vergangener Zeiten sein, damals war das Buch in den öffentlichen Bibliotheken ein Renner. 

Die politische Stimme

Alma de l’Aigle war eine politisch denkende Frau und scheute weder Widerspruch noch Widerstand. Sie startete als Jungsozialistin, begrüßte die Weimarer Republik und feierte das Wahlrecht für Frauen. Ihr Widersand gegen das Nazi-Regime war still, aber beharrlich. Als Lehrerin vertrat sie humanistische Werte und las im Unterricht verbotene Literatur. Ein mehrstündiges Verhör durch die Gestapo verlief glimpflich. Sie verkehrte mit aktiven Widerständlern wie Carl von Ossietzky und stand in engem Austausch mit dem humanistischen Philosophen Theo Haubach, der sich dem Widerstand gegen Hitler anschloss und 1944 in Plötzensee hingerichtet wurde. Nach dem Krieg veröffentlichte Alma de l’Aigle die Briefe, die Haubach an sie geschrieben hat. Eine posthume Ehrung des unbeirrbaren Widerstandskämpfers.

Auch nach dem Krieg vertrat sie ihre politischen Werte sehr klar, kämpfte gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und kandidierte für den Bundestag. Sie war Mitglied der Dienststrafkammer beim Bundesverwaltungsgericht sowie der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und aktives Gründungsmitglied des Kinderschutzbundes.

Die Autorin

Für Kinder und Gärten lohne es sich zu leben, meinte de l‘Aigle und schrieb nach dem Krieg mehrere Kinderbücher. In einfacher Sprache erzählt sie geradlinig und schnörkellos anrührende und tröstliche Geschichten zum Vorlesen für Kinder ab 6 Jahren.

Kinderbücher Alma de l’Aigle

Sie hat viel geschrieben, auch zu politischen Themen. In Erinnerung geblieben sind die beiden Gartenbücher. Das eine, „Begegnung mit Rosen" (1957) machte sie vor allem bei Rosenkennern bekannt. Karl Foerster nannte das Werk schlicht „unverzichtbar". Bis heute unerreicht ist das Duftvokabular, mit dem die Autorin nach jahrelangem Studium von fast 700 Rosensorten jener Zeit, beschrieben hat: Das Erscheinungsbild der Rose, die Farben von Blatt, Blüte, Dornen; Eigenart, Temperament und Zuverlässigkeit des Duftes beschreibt Alma de l’Aigle auf das Genaueste.

alma de laigle rosen

Fotos: HB

In ihrem Rosenbuch findet sich auch der wohl erste öffentliche Aufruf zum Guerilla-Gardening: „Muss man denn immer nur in den eigenen Garten pflanzen? Muss man überhaupt immer in Gärten pflanzen? Wachsen nicht Bäume und Sträucher und allerlei Kraut wild, wo sie Lust haben und wo es ihnen bekommt?“

Alma de l’Aigle gründete den BDHR, den Bund der heimlichen Rosenpflanzer und forderte ihre Leser auf, ihm beizutreten: „Da geht dann der heimliche Rosenpflanzer mit Spaten, oder unauffälliger, mit einer Pflanzkelle, nach dem schon seit längerer Zeit beobachteten Platz, macht ein entsprechend tiefes Loch, schüttet die mitgebrachte Tüte voll Hühner- oder anderem Mist hinein, vermengt und bedeckt ihn bestens mit Erde und senkt die Wurzeln gut verteilend, die Pflanze hinein.“

In ihrem anderen Gartenbuch mit dem schlichten Titel „Ein Garten“ beschreibt Alma de l’Aigle sorgsam und genau ihre Kindheitserinnerungen im Garten ihrer Eltern. 1888 hatte ihr Vater, ein Jurist in Staatsdiensten der Hansestadt, ein drei Morgen großes Feldgrundstück gleich hinter der Stadtgrenze Hamburgs erworben, darauf ein Haus gebaut und einen Nutz- und Ziergarten angelegt. Durch Alma de l’Aigles Schilderungen erfahren die Leser, wie der Garten angelegt war und wie die Familie dort lebte. 

alma de laigle der garten

Der Garten de l‘Aigle 

Der Gartenteil um Haus und Veranda herum entsprach dem bürgerlichen Geschmack der Zeit: geschwungene Wege und ovale Rosen- und Zierbeete, die mit Buchs eingefasst waren. Die sommerliche Blumenpracht von blauem Rittersporn, roten gefüllten Mohn, Löwenmaul und Sommerphlox gedieh prächtig unter der Pflege von Almas Mutter Christine.

Im mittleren Gartenteil stand ein Gewächshaus. Hier zog die Familie Gemüse für den täglichen Bedarf, denn der Vater hatte als Staatsdiener auf die Hälfte seiner Stelle verzichtet und das erforderte strenge Sparsamkeit in der Haushaltsführung. Außerdem wuchsen hier die Lieblingsblumen des Vaters: Phlox, Akelei und Goldband-Lilie (Lilium auratum), die „königlichste aller Gartenblumen“, schrieb Alma de l’Aigle, „aus dem Inneren der Blüte rauschen die Wellen von Duft, süß und stark, unwiderstehlich".

Das hintere Wiesengartenstück war mit Obstbäumen bepflanzt. Es waren Liebhabersorten, die mehr Pflege erforderten als im modernen, technisierten Fruchtanbaus üblich: „Früchte und Blumen sind natürlich gewachsene Erzeugnisse und können nicht wie Fabrikerzeugnisse behandelt werden", meinte Alma de l’Aigle rückblickend und charakterisierte die Birnen ihres Vaters: Honigsüß der „Erzbischof Honz“, saftig „Klapps Liebling“, die „Römischen Schmalzbirne“ mit ordinärem Charakter.

Gründung der Gartengesellschaft

Diesem außergewöhnlichen Gartenbuch verdankt die Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur ihre Existenz. Anke Kuhbier, Gründungsmitglied und spätere Präsidentin des Vereins beschreibt das anschaulich:

„Bei einer Lesung aus dem Buch saßen im Publikum eine Journalistin, eine Politikerin und eine Denkmalschützerin und waren hingerissen. Als sie erfuhren, dass der Garten der Familie de l'Aigle noch existiert, wurde dieses Kleinod sofort besichtigt.“ 

Der Zauber dieses verwilderten Gartens übertraf alle Erwartungen: „Unter den Bäumen schimmerte ein blauer Teppich aus verwilderten Hasenglöckchen, aus den zerbrochenen Scheiben des Glashauses rankten Weinreben ins Freie, und die aprikosenfarbene Pontische Azalee neben der Holzveranda verströmte einen berauschenden Duft“, erinnert sich Anke Kuhbier. Doch sie kamen zu spät. Die Zerstörung dieses Gartens der Reformbewegung war bereits beschlossene Sache. Grund und Boden gehörten einem Investor. Die Baugenehmigung für Wohnungen lag bereits vor.

 ehemalige Obstwiese der Familie de l‘Aigle

Fotos: HB

Die drei begeisterten Gartenliebhaberinnen konnten das Baugenehmigungsverfahren zunächst stoppen und erreichen, dass die ehemalige Obstwiese der Familie de l‘Aigle als Naturdenkmal anerkannt wurde. Teilweise konnte der historische Pflanzenbestand gesichert werden. Die Pflege und Unterhaltung im historischen Sinne des Gartens de l'Aigle hat die Stiftung Denkmalpflege übernommen. Nach dieser Erfahrung beschlossen die drei engagierten Frauen einen Verein für Gärten in Not zu gründen: Die Gesellschaft zur Förderung der Gartenkultur e.V. Heute hat der Verein etwa 1000 Mitglieder und ist in 10 Regional-Zweigen organisiert, die Vorträge, Exkursionen und Gartenreisen anbieten und sich als Lobby für die Gartenkultur öffentlich einsetzen. Die Gartengesellschaft veröffentlicht eine ambitionierte Mitgliederzeitschrift und ist auf Instagram präsent.

Zitate:

Wie dicht die vier zentralen Bereiche ihres Lebens - Gartenliebhaberin, Erzieherin, Schriftstellerin und Politikerin - miteinander verwoben sind, zeigt ein Satz gegen Ende des Rosenbuches: »Es gilt, bei Menschen wie bei der Rose, nicht, die Aristokratie durch die Masse zu ersetzen, sondern es gilt die Einzelnen der Masse zu aristokratisieren. Das erst ist echte Demokratie.« 

historische Aufnahmen: gemeinfrei