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Foto: Marion Nickig

Ein neuer Blick auf Sissinghurst

„Engländer möchten nicht gegängelt werden, sie möchten ihr Leben so leben, wie es ihnen richtig erscheint“, schrieb einst Vita Sackville-West, deren Namen untrennbar mit ihrem Garten Sissinghurst verbunden ist. Über diesen berühmten Garten, den sie zusammen mit ihrem Ehemann Harold Nicholson gleichsam aus dem Nichts erschuf, ist nun im Gerstenberg-Verlag ein spannendes neues Buch erschienen: „Sissinghurst – ein Traumgarten“.

Braucht es wirklich noch ein Buch über Sissinghurst? Diese Frage kann man nach der Lektüre uneingeschränkt bejahen. Der Autor Tim Richardson, der sich im Bereich Gartengeschichte und Gartendesign einen Namen gemacht hat, beschreibt den erstaunlichen Paradigmenwechsel, der sich seit einiger Zeit in Sissinghurst vollzieht: In dem Garten, der wohl zu den bekanntesten Großbritanniens zählt, weht ein neuer Wind: Man verabschiedet sich Stück für Stück vom üblichen Stil der Gartenpflege der großen Gärten des National Trusts, gemäß dem die von ihm betreuten Gärten auch ein Aushängeschild der Professionalität seiner Gärtner sein müssen. Denn es wurde in Sissinghurst nach dem Tod von Vita und Harold „zu gut gegärtnert“ und damit im Garten ein Übermaß an Pflegeaufwand und Perfektion betrieben, was seine beiden Schöpfer so nie gewollt haben. So entstand zwar „ein Garten, der stets makellos aussah, doch damit verlor er seine Magie, die daraus erwachsen war, dass seine Schöpfer zwanglos in und mit ihm lebten“. Der Garten war von Anfang an als ein Privatgarten gedacht, in dem es entspannt und lässig zugehen sollte. Und zu diesem Zustand will man jetzt allmählich wieder zurück, will dem Garten wieder seinen ursprünglichen Zauber des Privatgartens zurückgeben. In einzelnen, den verschiedenen Gartenbereichen gewidmeten Kapiteln, kann der Leser lesend mitverfolgen, wie dieser spannende Systemwechsel zum Beispiel im Rosengarten oder im berühmten „weißen Garten“ allmählich vollzogen wird. Und ein solcher Systemwechsel kann eben auch bedeuten, dass Gartenräume wie „Delos“, der gemäß der Idee seiner Schöpfer an einen mediterranen Garten erinnern sollte und nach so langen Jahren einfach nicht mehr „funktionierte“, ganz neugestaltet werden: neu, aber eben im Sinne von Vita Sackville-West und Harold Nicholson. Mit solchen Überlegungen geführt und gestaltet, bleibt ein historischer Garten ein Garten und erstarrt nicht zum musealen Schaustück. Und so dürfen die einzelnen Gartenzimmer von Sissinghurst wieder wie einst nur zu einer bestimmten Jahreszeit besonders schön sein, getreu Vitas Motto: „Pflanze großzügig und konzentriere dich auf einen bestimmten Moment, es macht nichts, wenn sich Lücken auftun, sobald der Moment vorüber ist.“

Antje Peters-Reimann

Tim Richardson: Sissinghurst – ein Traumgarten, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2021