Wo bitte liegt Herford?
Hand aufs Herz! Wer kennt Herford, weiß, wo es liegt oder war sogar schon einmal dort? Fehlanzeige? Kein Problem!
Jedes Jahr am ersten Wochenende im März gibt es einen guten Grund, nach Herford zu reisen: das Schneeglöckchenfest auf dem nahen Gut Bustedt. Unser noch junger Zweig Ostwestfalen stellt diesen frühen Pflanzenmarkt auf die Beine, um aus dem Erlös Gartenprojekte mit Kindern oder Jugendlichen zu finanzieren. In diesem Jahr haben 2000 Besucher mit ihrem Eintrittsgeld und dem Verzehr von Kaffee und Kuchen ihr Scherflein dazu beigetragen. Darunter auch etwa 50 Mitglieder der Gartengesellschaft aus dem Zweig Mitte und aus Hamburg bzw. Schleswig-Holstein. Im Folgenden soll von den Nordlichtern die Rede sein, die nicht nur den Schneeglöckchen ihre Aufwartung machen, sondern auch die ostwestfälischen Gartenfreunde bei diesem mutigen Mammutunternehmen unterstützen und – ganz nebenbei noch - Herford kennenlernen wollten.
Auf dem Weg langen Weg von Hamburg nach Ostwestfalen legten wir einen Stopp im Garten Wagenhuber ein: Jan Leßmeier und Klaus Wagenhuber, beide Mitglieder der Gartengesellschaft, zeigten uns ihren noch winterlichen Garten in Versmold und stellen uns ihre Menagerie an Ziegen, Schafen, Schweinen und Hühnern vor – alles Vertreter alter und vom Aussterben bedrohter Rassen. Wie erwartet, hatte sich im Garten noch kaum ein Hälmchen hervorgewagt, doch die anschaulichen Schilderungen der Eigentümer über die zu erwartende Fülle an Gemüse und Blumen ließen reizvolle Bilder in unseren Köpfen entstehen. So verlockend waren die sommerlichen Versprechen dieses ländlichen Anwesens, dass
viele von uns den 17 August notierten, an dem Leßmeier und Wagenhuber exklusiv für Mitglieder der Gartengesellschaft ihren Garten öffnen werden. (Angereichert mit ein paar zusätzlichen Gartenbesichtigungen könnte das ein lohnender Wochenendausflug werden.)
Gestärkt vom Tee und von den selbstgebackenen Keksen der Hausherren (Danke für die Rezepte!) ging es weiter nach Herford. Dort stand das „MARTa Herford“, das Museum für zeitgenössische Kunst auf dem Programm. Aus rotem Klinker und viel Edelstahl, asymmetrisch und gewellt - ein spektakulärer Bau des amerikanischen Architekten Frank Gehry. Verwundert reibt die Touristin sich die Augen und fragt, wie kommt ein Stararchitekt à la Gehry dazu, in der ostwestfälischen Provinz einen so ungewöhnlichen Bau zu planen und auch verwirklichen zu können? Herford macht’s möglich! Doch wie?
Die erstaunliche Geschichte vom geplanten „Haus des Möbels“ zum „MARTa Herford“ auf dem Gelände einer stillgelegten Textilfabrik erfahren wir von Roland Nachtigäller, dem künstlerischen Direktor des Museums, der uns auf einer Architekturführung ganz begeistert „sein“ Haus zeigt. Nach einer Stippvisite in der laufenden Ausstellung beziehen wir unsere Hotelzimmer, bevor uns die Gastronomie Herfords angenehm überrascht: Im historischen Elsbachhaus gibt’s Regionales von Koch Marc Höhne mit Fantasie zu einem köstlichen Menue kombiniert.
Der nächste Tag beginnt mit einer spannenden Stadtführung unter dem Motto „Die starken Frauen von Herford“. Gemeint sind die Stiftsdamen, die ab dem Mittelalter in Herford lebten und deren Äbtissinnen als Reichsfürstinnen Jahrhunderte lang auch außerhalb der Stiftsmauern das Sagen hatten und politisch den Ton angaben. Schon wieder eine unerwartete Facette dieser Stadt.
Und nun das i-Tüpfelchen: Gut Bustedt und das Schneeglöchenfest. Kein Schnickschnak oder Lifestyle Gedöns, sondern ein wirklicher Pflanzenmarkt mit zirka 40 erstklassigen Ausstellern. Hier dreht sich alles ums Gärtnern: Namenhafte Züchter (darunter zahlreiche aus den nahen Niederlanden) bieten ihre Schneeflöckchen und andere Frühjahrsblüher an. Der Spezialist für Freilandfarne (van Driel) klärt gerne über die Pflegebedürfnisse seiner historischen Raritäten aus der viktorianischen Zeit auf, und die „Cyclamenfrau“ freut sich über den enormen Zuspruch, den ihre Winzlinge erfahren. Im Dachgeschoss des schlossartigen Gutshauses gibt es botanische Kunst vom feinsten. Was draußen bei den Gärtnern „in echt“ zu sehen ist, hängt hier kunstvoll gemalt oder mit Farbstift gezeichnet an der Wand. Welche eine schöne Ergänzung!
Kunststücke ganz anderer Art kann man bei „Blickfang: Alte Zeiten“ aus Würtemberg erwerben. Hier stehen die Gartenliebhaber Schlange, weil sie an diesem Stand noch geschmiedetes Qualitätswerkzeug finden – auch Rares, wie zum Beispiel den Ampferstecher, den eine Freundin glücklich mit nach Hamburg schleppt, um auf ihrem Apfelhof dem Sauerampfer zu Leibe zu rücken. Nicht nur für sie war die Reise zu den Schneeglöckchen ein Erfolg. Vermutlich dachte manche Mitreisende auf dem Heimweg: Wer hätte das gedacht, Herford ist eine Reise wert!
Text und Bilder: Dr. Renate Hücking